Dialog statt Maulkorb: Neues Projekt will Wissenschafter fit machen für die Politik

Die Corona-Krise stellt das Verhältnis zwischen Experten und Politikern auf eine harte Probe. Nun starten Forscher und Politiker von den Grünen bis zur SVP ein Projekt zur besseren Verständigung.

Erich Aschwanden
Drucken
Wenn Mitglieder der Covid-Task-Force auftreten, wie deren Präsident Martin Ackermann (Bildmitte), wird dies von Politikern misstrauisch betrachtet.

Wenn Mitglieder der Covid-Task-Force auftreten, wie deren Präsident Martin Ackermann (Bildmitte), wird dies von Politikern misstrauisch betrachtet.

Peter Klaunzer / Keystone

Praktisch seit Beginn der Pandemie ist umstritten, welche Rolle die Experten in Virologie, Ethik, Wirtschaft und anderen Fachrichtungen in Bezug auf die Entscheide des Bundesrats spielen sollten. Zu Rivalitäten und Eifersüchteleien kam es auch bei der Frage, wer in Sachen Corona-Massnahmen informieren darf.

Ende der vergangenen Woche hatte die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) genug von den angeblichen Kompetenzüberschreitungen der Fachleute. Sie verlangt, dass sich Mitglieder der Covid-19-Task-Force künftig höchstens im Beisein eines Bundesratsmitglieds äussern dürfen. Der Beschluss dürfte als «Maulkorb-Erlass» in die Geschichte eingehen.

Verschiedene Spannungsfelder

Ausgerechnet in dieser Phase angespannter Beziehungen startet ein Projekt, das dafür sorgen will, dass sich die beiden unterschiedlich tickenden Welten besser verstehen. «Wie können wir gesellschaftliche Herausforderungen wie die Corona-Pandemie, den Klimawandel oder die Digitalisierung meistern, wenn Wissenschaft und Politik ständig aneinander vorbeireden?», fragt Anna Krebs, Leiterin des Projekts Franxini. Die Idee zu der Initiative entstand denn auch bereits vor der Corona-Krise.

Benannt ist das Projekt nach Stefano Franscini (1796–1857). Der Sohn von armen Tessiner Bauern erkannte früh die zentrale Bedeutung der Bildung für das Gemeinwohl. 1848 wurde er als Mitglied in den ersten Bundesrat gewählt. Dort gründete er die heutige Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), legte die Grundlage für das Bundesamt für Statistik und baute die Bundesverwaltung auf. Lanciert wird Franxini von Reatch, einer «unabhängigen Ideenschmiede für kritische Wissenschafter und Wissenschafterinnen und Wissenschaftsbegeisterte in der Schweiz», wie sich die Gruppe nennt.

Inzwischen bringt die Schweiz – nicht zuletzt dank den beiden ETH – Jahr für Jahr exzellente Wissenschafter hervor oder lockt hochqualifizierte ausländische Forschende an die hiesigen Hochschulen. Viele von ihnen wissen jedoch nicht, wie sie sich in politische Prozesse einschalten können und auf welche Weise ihre Stimme bei den Entscheidungsträgern Gehör findet. Viele Politikerinnen und Politiker wiederum empfinden Wortmeldungen von Vertretern der Wissenschaft als Einmischung oder Bevormundung.

«Das führt zu Spannungen und Missverständnissen, wie es im Zusammenhang mit der Corona-Krise der Fall ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Klimakrise», stellt Nicolas Zahn fest. Der Politologe ist Mitglied des Vorstandes und spricht von einer «Gratwanderung», auf die sich politisch unerfahrene Wissenschafter begeben würden und dafür manchmal Lehrgeld zahlten.

Franxini soll keine Lobbyorganisation sein, sondern die beiden manchmal sehr unterschiedlich tickenden Welten miteinander verknüpfen. Dafür dienen drei Gefässe, mit denen die Forschenden fit für die Politik gemacht werden sollen. Mit dem Förderprogramm «Policy Innovation Hub» sollen wissenschaftliche Ideen mit politischen Massnahmen verknüpft und so die Chancen von Gesetzesänderungen beispielsweise im Energiesektor erhöht werden.

Ein weiteres Programm heisst «Politics Bootcamp». Hier sollen Forschende in Intensivtrainings die Grundlagen des schweizerischen Politsystems kennenlernen und fit getrimmt werden für die Politik. An den Anlässen des «Polity-Hives» begegnen sich Menschen aus Politik, Wissenschaften und anderen Teilen der Gesellschaft, um sich auszutauschen und Synergien zu entwickeln.

Unterstützung von Grünen bis SVP

In den vergangenen Monaten haben die Gründer von Franxini ein grosses Netzwerk von Unterstützern geknüpft. Bewusst setzt man dabei auf eine möglichst breite Abstützung. So finden sich mit den Nationalratsmitgliedern Lars Guggisberg (svp.), Melanie Mettler (glp.), Jon Pult (sp.), Meret Schneider (Grüne) und Andri Silberschmidt (fdp.) sowie der Ständerätin und Mitte-Fraktionspräsidentin Andrea Gmür Vertreterinnen fast aller Parteien unter den Unterstützern. «Die persönliche Vernetzung von Wissenschaft und Politik in der Schweiz ist wichtig. Nur wenn wir uns gegenseitig zuhören, geht es vorwärts», begründet Silberschmidt sein Engagement.

Aus der Welt der Wissenschaft mit von der Partie sind unter anderem der Epidemiologe Marcel Salathé, der ETH-Ratspräsident Michael Hengartner, der Historiker Caspar Hirschi, Estefania Cuero, die Sprecherin der Jungen Akademie der Schweiz, und der Klimaphysiker Reto Knutti. Man darf gespannt sein, ob Franxini und andere Initiativen das derzeit erhitzte Klima wieder abkühlen können und den Dialog wieder in sachliche Bahnen lenken.