• Praxisanleitung
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  • Dr. Mikolaj Walensi
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  • 27.11.2014

OP-Anleitung Abszessentfernung - Raus mit dem eitrigen Graus

"Wo Eiter ist, da entleere ihn", wusste schon Hippokrates. Doch wie geht man dabei vor? Dr. Mikolaj Walensi zeigt Schritt für Schritt, wie man einem Abszess zu Leibe rückt.

 

Eitrige Beulen am Hals, in den Achselhöhlen und in der Leistengegend – wer im Mittelalter solche Hautveränderungen an sich feststellte, konnte damit rechnen, dass seine Zeitgenossen schleunigst Reißaus nahmen. Denn diese Befunde sind untrügliche Zeichen der Pest. Allein bei einem Ausbruch in der Mitte des 14. Jahrhundert raffte diese Seuche fast ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die damaligen Ärzte waren ratlos. Nicht mal über die Auslöser waren sie sich im Klaren: Die Erklärungsversuche reichten von der auf Galen zurückgehenden Annahme, dass bei den Kranken die vier Körpersäfte falsch gemischt sind, bis hin zu der Hypothese, dass einfach die Planeten ungünstig stehen. Nicht minder skurril waren die Versuche, mit denen die Ärzte die Krankheit besiegen wollten: Beliebt waren etwa Aderlass, Brechmittel und Einläufe. Dass diese „Behandlungen“ die Erkrankten nur noch mehr schwächten, war zwar offenkundig – trotzdem wurden sie mangels Alternativen bis in die Neuzeit eingesetzt. Das änderte sich erst als der Schweizer Arzt Alexandre Yersin 1894 den Pesterreger entdeckte. Heute weiß man, dass das nach Yersin benannte Bakterium Yersinia pestis im Mittelalter vor allem durch Ratten auf Flöhe und damit auf den Menschen übertragen wurde. Mit der Entdeckung von Antibiotika und durch die verbesserte Hygiene hat die Pest ihren Schrecken verloren und tritt nun nur noch vereinzelt auf.

 

Abszess: Eiterbeule mit Membran

Die Abscheu, die Menschen empfinden, wenn sie entzündliche Beulen oder Schwellungen auf der Haut ihrer Mitmenschen oder ihrer eigenen entdecken, ist trotzdem nach wie vor tief in uns allen verankert. Anders als früher kann man die Patienten aber beruhigen: Heute handelt es sich meistens um Abszesse, die sich recht gut therapieren lassen. Diese durch Bakterien verursachten Eiteransammlungen (selten sind sterile, sog. kalte Abszesse ohne Bakterienansammlung) können nicht nur auf der Haut, sondern z.B. auch im Hirn, der Leber oder der Lunge vorkommen. Die wichtigsten prädisponierenden Faktoren für innere Abszesse sind Diabetes mellitus, Immunschwäche sowie Nikotinabusus. Ursächlich für Abszesse der Haut sind meistens kleine, unsichtbare (Abb. A1) Wunden oder größere Verletzungen (Abb. B) z.B. nach Injektionen oder Operationen. Über die Eintrittspforte treten Bakterien wie etwa Staphylokokken, E. coli, Pseudomonas aeroginosa oder Enterokokken in die Haut ein und vermehren sich. Funktioniert die Abwehr des Körpers, bildet sich um die Einschmelzung rasch eine Abszessmembran mit zahlreichen Abwehrzellen wie Granulozyten. Der Detritus aus Bakterien, Abwehrzellen und abgestorbenem Gewebe ist schließlich der Eiter. Klinisch kann dieser bereits Hinweise auf den Erreger liefern: Zum Beispiel spricht grünlicher, süßlich riechender Eiter für eine Pseudomonas-Infektion, gräulicher, faulig riechender Eiter kann auf eine Infektion mit Anaerobiern hinweisen. Die Anamnesedauer beträgt meistens Tage, es gibt jedoch auch Abszesse, die sich über mehrere Wochen entwickeln oder rezidivieren. Die Patienten beklagen dann eine zunehmende Rötung, Schwellung und Schmerzen. Bei Generalisierung des Infektes kann es zu Fieber und Schüttelfrost kommen. Laborchemisch sind bei ausgeprägtem Infekt die Leukozytenzahl sowie das CRP erhöht. Bildgebend ist die Sonografie die Methode der Wahl. Hier kann der Abszess als echoarme (echofrei wäre eine Zyste), inhomogene, manchmal septierte Flüssigkeitsansammlung im Subkutangewebe gesehen werden. Eine MRT- oder ein CT-Untersuchung ist bei einem lokal begrenzten Befund nicht erforderlich, sie wird jedoch bei der Frage nach Affektion tieferer Strukturen, unklarer Ausdehnung oder dem Verdacht auf eine beginnende nekrotisierende Fasziitis (Maximalvariante in der Inguinalregion ist die Fournier’sche Gangrän) durchgeführt.

 

Behandlung: Der Brei muss raus!

Therapeutisch gilt nahezu ausnahmslos der Hippokrates zugeschriebene Grundsatz „ubi pus ibi evacua“: „Wo Eiter ist, dort entleere ihn“. Bei oberflächlichen Abszessen erfolgt demnach eine Inzision oder Abdeckelung mit anschließender offener Wundbehandlung. Würde man einen primären Wundverschluss wählen, wäre die Gefahr für ein Rezidiv sehr hoch (Fotostrecke). Bei größerem Befund sowie systemischen Entzündungszeichen wird eine operative Sanierung mit Abstrichentnahme durchgeführt und zudem eine perorale oder intravenöse antibiotische Therapie eingeleitet. Hierfür eignen sich z.B. Amoxicillin/Clavulansäure oder Doxycyclin. Für den Wundverband wird der Zipfel einer feuchten Kompresse locker in die Wundhöhle gelegt. Die Wunde wird anschließend regelmäßig bis zur sekundären Wundheilung gespült.
Übrigens: liegt der Abszess nicht in der Haut sondern im inneren des Körpers, z.B. intaabdominell nach einer septischen Operation, kann die „Evakuation“ der Eiteransammlung auch über eine CT- oder Sonografie-gesteuerte Punktion/Drainage erfolgen.

 

Unterschiedliche Entzündungsformen

 Abszess Eiteransammlung in nicht präformierter Körperhöhle 
 Empyem Eiteransammlung in präformierter Körperhöhle (z.B. Pleuraempyem)
 Erysipel durch Streptokokken hervorgerufene Entzündung der Haut
 Furunkel bakteriell bedingte Infektion eines Haarbalgs 
 Karbunkel zusammengeschmolzenes Konglomerat mehrerer Furunkel 
 Phlegmone diffuse Eiteransammlung im Gewebe

 

  • Abszessabspaltung - Foto: M. Walensi

    A1: Der ca. 4 cm breite Abszess am Oberschenkel zeigt alle 5 Kardinalsymptome einer Entzündung: Rötung, Überwärmung, Schmerz, Schwellung und (schmerzbedingte) Funktionseinschränkung.

     
  • Abszessspaltung - Foto: M. Walensi

    A2: Die Desinfektion des Operationsgebietes erfolgt mit einer jodhaltigen Lösung (am Kopf oder an den Akren auch mit Octenisept). Hierbei wird der Abszess in kreisenden Bewegungen von Außen (eher sauber) nach Innen (eher kontaminiert) desinfiziert.

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  • Abszesspaltung - Foto: M. Walensi

    A3: Die sterile Abdeckung erfolgt mit einem Lochtuch, bei ungünstigerer Lokalisation können mehrere Abdecktücher um den Abszess herum geklebt werden.

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  • Abszessspaltung - Foto: M. Walensi

    A4: Die Größe des Abszesses kann mit einem Lineal gemessen, die Schnittführung mit einem Stift eingezeichnet werden. Diese kann spindelförmig oder rund erfolgen.

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  • Abszessspaltung - Foto: M. Walensi

    A5: Anschließend erfolgt die Abdeckelung des Abszesses. Die Haut wird mit dem Skalpell eröffnet und anschließend weiter mit dem Elektrokauter präpariert. Entleert sich Eiter, sollte dieser abgesaugt ...

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  • Abszessspaltung - Foto: M. Walensi

    A6: ... und ein Abstrich zur Erregersuche und Bestimmung einer gezielten Antibiotikatherapie abgenommen werden.

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  • Abszessspaltung - Foto: M. Walensi

    A7: Ist die Abszesshöhle stark verschwartet oder weist nekrotische Anteile auf, erfolgt ein Débridement mittels scharfem Löffel. Stark entzündete oder nekrotische Wundrandanteile der Haut sollten ebenfalls exzidiert werden.

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  • Abszessentfernung - Foto: M. Walensi

    A8.1: Die endgültige Reinigung erfolgt mit Wasserstoffperoxid (H2O2).

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  • Abszessabspaltung - Foto: M. Walensi

    A8.2: Anschließend werden kleine Blutungen mit dem Elektrokauter koaguliert und die Wunde noch einmal gründlich mit Ringer- oder NaCl-Lösung gespült.

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  • Abszessabspaltung - Foto: M. Walensi

    A9.1: Der Wundverband erfolgt durch die lockere Einlage einer feuchten Kompresse mit anschließendem Kompresse- und Pflasterverband.

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  • Abszessabspaltung - Foto: M. Walensi

    A9.2: Ein bis zwei Tage postoperativ kann die Wunde offen belassen und bis zur abgeschlossenen sekundären Wundheilung gespült werden.

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  • Abszessentfernung - Foto: M. Walensi

    B: Die Eintrittspforte ist bei diesem Abszess am Oberarm deutlich zu sehen. Es zeigen sich die typischen Symptome einer Entzündung (s. Abb. A1). Die chirurgische Sanierung erfolgte durch eine radikale Exzision, Spülung und die offene Wundbehandlung.

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